Kein Wort über den Arbeitskampf im eigenen Haus

Artikel zum Tarifkonflikt in der Branche vom 14.07.2011

Schwabo, Wirtschaftsseite vom 14.7.2011 (Bild anklicken, um den Artikel zu lesen)

Der Schwarzwälder Bote, die Zeitung also, der wir uns trotz des Streiks verbunden fühlen, weil wir seit vielen Jahren tagtäglich mit Herzblut an dem Projekt einer „Qualitätszeitung“ mitarbeiten, hat am 14. Juli auf den Wirtschaftseiten über die Streiks in der Verlags- und Zeitungsbranche berichtet. „Tageszeitungen droht ausgedehnte Streikwelle“ heißt das Stück. Das ist an sich löblich, allerdings steht in dem Artikel nicht ein einziger Satz über den „Tarifkonflikt“ im eigenen Haus, der vollkommen anders gelagert ist. Hierbei geht es nämlich im Kern um Ausgliederung und Tarifflucht des Arbeitgebers. Es hätte ja Gelegenheit gegeben, die Kontrahenten dieser schon seit Januar 2011 schwelenden Auseinandersetzung einmal „im eigenen Blatt“ zu Wort kommen zu lassen. Aber das darf wohl nicht sein. Warum eigentlich nicht?

Um mit einem Missverständnis gleich aufzuräumen: Die Streikenden beim „Schwabo“ sind nicht auf der Straße, weil sie Lohnerhöhungen erzwingen wollen. Es geht ihnen um die Wiederherstellung der Tarifbindung, die seit dem 1. März nicht mehr in Oberndorf gilt. Die Flucht an dem Tarifvertrag geschah ohne Vorankündigung. Zeichen echter wirtschaftlicher Not sind auch keine zu erkennen, zumal man für diesen Fall auch mit dem Betriebsrat hätte reden können. Schon einmal ist ein zeitlich befristeter Pakt gelungen. Aber darum geht es gar nicht. Der Schritt der Ausgliederung und Tarifflucht ist nämlich überhaupt nicht aus wirtschaftlicher Not erfolgt, sondern nur darum, auf diese Weise freie Hand bei der Gestaltung der Löhne und Arbeitsbedingungen zu bekommen – eben ohne lästige Gewerkschaften.

Die streikenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beim Schwabo kämpfen für eine Tarifordnung, die sie vor Willkür schützt und für Lohngerechtigkeit sorgt – übrigens auch bei den Neuzugängen. Denn vor allem beim Journalisten-Nachwuchs soll sich nach dem Willen der Arbeitgeber ein dramatischer Kahlschlag vollziehen. Die Formel dafür lautet: längere Arbeitszeiten und weniger Sicherheit (Individualverträge, Befristungen) bei deutlich schlechterer Bezahlung. Und das sind mitnichten nur „etwas mehr als 300 Euro“ im Monat „im ersten Berufsjahr“, wie es in dem Artikel heißt. Die Einbußen ziehen sich durch das gesamte Berufsleben und machen insgesamt mehr als 250 000 Euro aus. Richtig dargestellt ist, dass statt der bisher im ersten bis dritten Jahr üblichen 2987 Euro künftig bis zum vierten Berufsjahr nur noch 2650 Euro gezahlt werden sollen, was einer Gehaltskürzung von 15 Prozent entspricht. Das ist an sich schon keine Kleinigkeit, markiert aber noch lange nicht das Ende der Fahnenstange beim geplanten Lohndumping im Journalismus. Hinzu kommen Verschlechterungen bei der Altersvorsorge. Außerdem soll die Wochenarbeitszeit von 36,5 auf 40 Stunden – natürlich zum Nulltarif – steigen. „Alles in allem summieren sich die Einbußen im so genannten Tarifwerk II für Einsteiger und Wechsler je nach Berufsjahr auf bis zu 30 Prozent“ gegenüber der jetzigen, bereits vor Jahren gekürzten Gehaltstabelle, hat eine Stuttgarter Kollegin errechnet (siehe die aktuelle Streikzeitung der Stuttgarter Zeitung/Stuttgarter Nachrichten, S.2). Dass als „moderate Reform“ zu verkaufen, wie das der Bundesverband deutscher Zeitungsverleger (BDZV) macht, grenzt schon an Gehirnwäsche.

Wohl gemerkt: Die hier skizzierten Pläne beziehen sich auf „tarifgebundene Unternehmen“. Der Schwabo gehört aber seit dem 1. März nicht mehr zu diesem Kreis. Er will offenbar überhaupt keine Tarifordnung mehr, die seine Geschäftsführer irgendwie einschränken könnte. „Management by Angst“ nennt man das heute: Schalten und Walten nach „Gutsherrenart“; „wer nicht für uns ist, ist gegen uns“ und: „Was interessieren uns unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“? „Es gibt doch so viele, die noch für deutlich weniger Geld bei uns arbeiten würden.“ Der „Markt“, so heißt es, gibt das rigide Kürzungsprogramm beim Personal her. Das ist die Rolle rückwärts in den Frühkapitalismus. Fairness und Sozialpartnerschaft in den Betrieben sind in diesem Denken nicht Stabilisatoren der Demokratie und „sozialen Marktwirtschaft“, sondern sozialromantischer Ballast. Was in Oberndorf passiert, ist deshalb ein ganz anderes Kaliber als der „normale Tarifkonflikt“ bei beidseitiger Tarifbindung, wie er im Artikel beschrieben ist. Wir Streikenden in Oberndorf wollen auch in Zukunft Rechte haben, wie sie in einem Tarifvertrag fixiert sind. Wir haben kein Interesse an Gnadenakten nach „Gutsherrenart“, die uns bereits angekündigt wurde, oder wertlosen, weil unverbindlichen Versprechen.

Und beim munteren Lohndumping in tariflosen Firmen ist bei der 30-Prozent-Grenze für Berufsstarter offenbar noch gar nicht Schluss. In Deutschland ist es in auch in einigen „namhaften“ Firmen inzwischen üblich, die Kosten für die firmeninterne Ausbildung der Bewerber entweder den Eltern oder der Agentur für Arbeit, also den Steuerzahlern, aufs Auge zu drücken. Geht doch! Man holt sich das ganze Potenzial der jungen Menschen quasi zum Nulltarif. Vor solchem Sittenverfall in Chefetagen schützen nur engagierte Betriebsräte und kämpferische Gewerkschaften, die dem Treiben der Renditejäger mit Betriebsvereinbarungen und Tarifverträgen Einhalt gebieten. Deshalb brauchen wir auch in Zukunft solche Haltegrenzen. Anderenfalls droht das, was beim Schwabo inzwischen ein offenes Geheimnis ist. Demnach sollen angehende Redakteure im ersten Jahr des „Volontariats“, das ist eine zweijährige Ausbildung zum Redakteur, 1200 Euro monatlich bekommen, im zweiten Jahr dann 1400 Euro. Bisher bekamen sie 1755 beziehungsweise 2034 Euro. Das ist ein Minus von 555 beziehungsweise 634 Euro – oder 32 Prozent. Rechnet man höhere Arbeitszeiten, geringeren Erholungsanspruch und weniger bis gar kein Urlaubs/Weihnachtsgeld hinein, fallen die Gehaltsverluste unterm Strich sogar noch höher als 32 Prozent aus. Die Tarifflucht macht es möglich.

Zum Vergleich: Bei Aldi Süd verdient ein Kaufmann im Einzelhandel in der Ausbildung 800 Euro (1. Jahr), 900 Euro (2. Jahr) und 1060 Euro im dritten Jahr – und das mit „überzeugendem Hauptschulabschluss oder Zeugnis der mittleren Reife“. Diese jungen Menschen sind dann 16 Jahre alt. Der angehende Redakteur hat dagegen Abitur (plus drei weitere Jahre Ausbildung) und anschließend ein Studium (maximal fünf Jahre). Das setzen die Verlage übrigens als Qualifikation voraus. Mit bis zu acht Jahren mehr Ausbildung, in der er keine Einnahmen hatte, verdient er als 26-Jähriger im letzten Jahr seiner Redakteursausbildung gerade einmal 340 Euro mehr. Das Wort „Bildungsrendite“ verbietet sich in diesem Fall. Mir ist keine andere Branche bekannt, in der derart rücksichts- und gedankenlos die Entwertung eines gesamten Berufstandes betrieben wird. Das ist verantwortungslos und vermutlich der Todesstoß für den ambitionierten Journalismus auch auf dem Lande.

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